Autismus & Schlafstörungen

Autismus und Schlafstörungen – ein häufiges Zusammenspiel

Neben Aufmerksamkeitsdefiziten und Hyperaktivität gehören Schlafprobleme bei Autismus zu den häufigsten Begleiterscheinungen: Laut Studien haben mehr als 80 Prozent der Kinder mit Autismus Schlafstörungen.1 Nicht nur für die betroffenen Kinder, auch für die Angehörigen kann das sehr aufreibend sein – übermüdete Eltern sind anfälliger für Stress und Überlastung. Die medizinische Forschung ist den Zusammenhängen zwischen Autismus und Schlafen auf der Spur. Man vermutet, dass es verschiedene Gründe für Schlafprobleme bei Autismus gibt.

Inhaltsverzeichnis // Lesedauer: ca. 3:30 min

Welche Schlafprobleme haben Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung?

Die Probleme beim Zusammenspiel von Autismus und Schlaf können verschieden ausgeprägt sein: Häufig schlafen die Betroffenen schwer ein oder schlafen nicht durch (Schlaflosigkeit), aber auch der Schlaf-Wach-Rhythmus kann gestört sein. Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) benötigen zum Einschlafen oft über eine Stunde oder wachen nachts auf und bleiben mehrere Stunden wach.2 Die Schlafdauer ist insgesamt somit stark verkürzt. Schlafstörungen bei Autismus können zudem langwierig sein und auch im Erwachsenenalter noch auftreten.

Was ist eigentlich Schlaf?

Als ‚Schlaf‘ bezeichnet man einen physiologischen Ruhezustand, der unter anderem zur Erholung von Körper und Geist dient. Im Vergleich zum Wachzustand ist die Reaktionsfähigkeit auf äußere Reize vermindert, die Muskulatur entspannt und die Gehirnaktivität verändert.

Schlaf folgt einem zyklischen Ablauf: Im Laufe einer Nacht wechseln wir mehrmals zwischen Leichtschlafphasen, Tiefschlafphasen und sogenannten REM-Schlafphasen – das sind Phasen mit schnellen Augenbewegungen (rapid eye movement), in denen wir intensiv träumen. Ein Zyklus dauert etwa 90 bis 120 Minuten.1

Grafik: normaler Schlafzyklus. Bei Schlafstörungen bei Autismus ist dieser Zyklus gestört.

Bei Autistinnen und Autisten mit Schlafstörungen verlaufen die Schlafphasen anders. Beispielweise können die Schlafzyklen sehr fragmentiert sein oder die REM- und Tiefschlafphasen sind verkürzt, während der Anteil an Leichtschlafphasen erhöht ist.

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Warum kommt es bei Autismus zu Schlafstörungen?

Einiges deutet darauf hin, dass die Regulierung des Schlafs bei Autistinnen und Autisten in bestimmten Gehirnarealen und durch gewisse Botenstoffe nicht richtig funktioniert. So ist etwa bekannt, dass die Hormone Melatonin und Serotonin, welche für das Einschlafen bzw. Aufwachen wichtig sind, bei Autismus zum Teil unzureichend bzw. übermäßig hergestellt werden.1, 2 Hinzu können weitere Faktoren kommen, z. B. dass ein Kind Angst vor dem Einschlafen hat oder sich stark auf die vorangegangenen Ereignisse des Tages konzentriert. Auch die Erwartungshaltung der Eltern, dass das Kind nun schlafen soll, wird von autistischen Kindern eventuell nicht verstanden.

Während viele Kinder mit Autismus Schlafstörungen haben, machen Eulen-Typen gern die Nacht zum Tag. Symbolbild: eine gezeichnete Comic-Eule.

Von Eulen und Lerchen: Wie viel Schlaf ist normal?

Während Eulen-Typen gern die Nacht zum Tag machen, sind Lerchen-Typen schon frühmorgens putzmunter: Der biologische Schlafrhythmus liegt in den menschlichen Genen. Für das Schlafbedürfnis spielt aber auch das Alter eine Rolle – Säuglinge schlafen bis zu 16 Stunden, Kleinkinder bis zu 11 Stunden und Schulkinder 8 bis 10 Stunden. Bei Erwachsenen sind zwischen 7 und 9 Stunden normal.3, 4

Das Schlafbedürfnis von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung liegt meist etwas unterhalb von dem gleichaltriger Kinder. Das Kind zu früh ins Bett zu schicken, kann das Einschlafen also eher erschweren. Um das Schlafverhalten zu dokumentieren und auch, um Schlafstörungen zu erkennen, hilft es, ein Schlaftagebuch zu führen.

Schlafstörungen und Autismus: Was sind die Folgen?

Zu den typischen Folgen von Schlafmangel oder schlechter Schlafqualität gehört natürlich Müdigkeit. Bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung können sich zudem Stereotypien im Verhalten, Aufmerksamkeitsprobleme, Ängste und Depressionen verstärken – mitunter werden die Kinder auch hyperaktiv oder aggressiv.

Darüber hinaus besteht die Annahme, dass Schlafmangel bei autistischen Kindern die Hirnreifung beeinträchtigt. Für gewöhnlich werden beim Heranwachsen viele Nervenverbindungen im Gehirn abgebaut und andere verstärkt – ein Entwicklungsprozess, der bei autistischen Kindern eingeschränkt abläuft. Wissenschaftliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass mangelnder Schlaf dies zusätzlich negativ beeinflusst.5

Können Schlafstörungen bei Autismus behandelt werden?

Um den Schlaf bei Autismus-Spektrum-Störung zu verbessern, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Mit einer verhaltenstherapeutischen Unterstützung kann bereits sehr viel erreicht werden, dazu gehören beispielsweise Routinen vor dem Zubettgehen. Auch geeignete Maßnahmen der Schlafhygiene sind wichtig, etwa eine passende Schlafumgebung. Ausführliche Tipps und Ratschläge hierzu erhalten Sie auf der Seite ‚Hilfe bei Autismus und Schlafproblemen‘.

Therapie mit Melatonin

Als wirksam zur Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern mit Autismus haben sich Arzneimittel mit Melatonin erwiesen. Dieser Botenstoff wird ärztlich verschrieben, wenn eine Verhaltenstherapie und Maßnahmen der Schlafhygiene allein nicht zum gewünschten Erfolg führen. In Studien konnte gezeigt werden, dass bestimmte Melatonin-Präparate bei Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störung die Zeit bis zum Einschlafen verkürzen und die Gesamtschlafdauer erhöhen können – lassen Sie sich hierzu ärztlich beraten.2, 5

Eine ergänzende Melatonin-Therapie kann
bei Kindern mit chronischen Schlafstörungen
die Schlafdauer verbessern.

  1. Ballester, P. et al.: Sleep in autism: A biomolecular approach to aetiology and treatment. Sleep Med. Rev. 2020;54. doi: 1016/j.smrv.2020.101357
  2. Grigg-Damberger, M., Ralls, F.: Treatment strategies for complex behavioral insomnia in children with neurodevelopmental disorders. Curr. Opin. Pulm. Med. 2013;19(6):616-625. doi: 1097/MCP.0b013e328365ab89
  3. Bundesministerium für Gesundheit, gesund.bund.de: Gut schlafen – im Takt mit der inneren Uhr
  4. Pschyrembel Online: Schlafdauer
  5. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V.: S3-Leitlinie „Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, Teil 2: Therapie“, Version 1.1, Stand März 2021

Zuletzt aktualisiert am 12.03.2024